In Erwartung

Adventszeit – Wartezeit. Warten wird oft als lästig empfunden. Wir denken an Wartezimmer beim Arzt, Wartesäle bei Behörden und Haltestellen bei Bus und Bahn. Erst recht wird unsere Ungeduld auf den Prüfstand gestellt, wenn es zu Verzögerungen kommt und uns das Warten endlos erscheint.
Wartezeiten scheinen verlorene Zeiten zu sein, denn sie zwingen uns zur Untätigkeit und auch der ständige Blick zur Uhr verkürzt das Warten nicht. Auch der Advent kennt ungeduldiges Warten, vor allem bei Kindern, während Erwachsene oftmals von hektischer Geschäftigkeit im privaten wie im beruflichen Bereich erfasst werden.

Das Warten im Advent allerdings ist in Wirklichkeit weder ernüchternde Zeitvergeudung noch belastender Termindruck, sondern eine durchaus sinnvolle Einrichtung. Die Wochen mit den vier Sonntagen am Beginn eines neuen Kirchenjahres laden dazu ein, diesen „Wartestand“ bewusst zu gestalten und zu durchleben. Dabei helfen schon ganz äußerlich viele Bräuche, z. B. der Adventskranz oder der Adventskalender, aber vor allem der reiche Schatz der teilweise geradezu volkstümlichen Adventslieder. Und dann sind es die Wochensprüche, die Lese- und Predigttexte der Gottesdienste, die uns die Wartezeit aufschließen:
1. Advent: DER KOMMENDE HERR. Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und Helfer (Sacharja 9,9)
2. Advent: DER KOMMENDE ERLÖSER. Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lukas 21,28)
3. Advent: DER VORLÄUFER DES HERRN. Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig (Jesaja 40, 3.10)
4. Advent: DIE NAHENDE FREUDE. Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! (Philipper 4, 4.5b).

Der 3. und 4. Advent stellen uns biblische Gestalten vor, die uns beim Warten begleiten wollen: Der Bußprediger und Vorläufer Jesu Johannes der Täufer und Jesu Mutter Maria. Zwei weitere Personen könnte man noch mit einbeziehen. Wir finden sie an unserem Beerbacher Altar auf dem Tafelbild des rechten Seitenflügels und es ist gerade die Adventszeit mit den geschlossen Altarflügeln, die uns die beiden vor Augen führt:

Simeon und Hanna. Von diesen alten Menschen berichtet das Lukasevangelium erst nach der Geburt Jesu und im Kirchenjahr treten sie erst am Ende des Weihnachtsfestkreises am Tag der Darstellung des Herrn (Lichtmess) am 2. Februar auf, und doch sind sie beispielhaft für Menschen im Advent. In seinem gelben Mantel fällt Simeon besonders ins Blickfeld. Am Altartisch beugt er sein bärtiges Haupt über das nackte Jesuskind, das er behutsam in sein Gewand eingehüllt hat. Er ist in die Betrachtung des göttlichen Kindes ganz versunken. Rechts hinter ihm mit roter Kopfhaube steht Hanna, ihr Gesicht ist vom Alter gezeichnet, doch ihre Augen sind hellwach. Sie ist hochbetagt und lebte 84 Jahre im Witwenstand. Lukas schildert die beiden Alten als fromme und gottesfürchtige Propheten. Erfüllt von Gottes Geist verharren sie geduldig im Wartestand, gestärkt durch die Gewissheit, dass sie in ihrem Leben noch eine große Begegnung erfahren werden, mit der ihr Warten “mit Fasten und Beten Tag und Nacht“ belohnt werden wird. Sie warten auf die Erlösung, den Erlöser. Simeon bezeichnet ihn als „Heiland“, als den, der uns errettet, gesund, eben heil macht. Er singt von ihm als dem Licht, das hell macht, und nicht nur bei den Angehörigen des Volkes Israel, sondern auch bei den „Heiden“, also in aller Welt, bei allen Menschen. Und zur Verdeutlichung dieser Aussage steht hinter dem Altar ein junger Mann, der die kunstvoll geflochtene brennende Lichtmesskerze in Händen hält. Dass es sich dabei um eine Darstellung Michael Wolgemuts (1434-1519), des Schöpfers unseres Hochaltars, handeln könnte, ist eine nicht abwegige Vermutung.

Das Tagesgebet in unserem Evangelischen Gottesdienstbuch für den Tag der Darstellung des Herrn lautet:
„Gott, du Licht der Welt, Simeon und Hanna haben deinen Sohn gesehen und als Heiland der Welt gepriesen: Lass uns mit ihnen das Heil schauen, das du Israel und allen Völkern bereitet hast durch ihn, Jesus Christus, unsern Herrn. Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“

Es lohnt sich also, geduldig zu warten, denn unser Warten wird erfüllt werden.

Ewald Glückert, Archivpfleger