Af der Gschaader Seid’n

Blick in das nördliche Seitenschiff, die "Gschaader Seid'n"
Bildrechte Helmut Meyer zu Capellen

Wir alle pflegen ohne groß darüber nachzudenken bestimmte häusliche Gewohnheiten, die nicht ohne besonderen Anlass geändert werden. Am Esstisch zum Beispiel hat jedes Familienmitglied seinen festen Platz. In öffentlichen Räumen muss man sich erst umschauen und überlegen: Welche Plätze sind noch frei, wo sitze ich für meine Bedürfnisse am günstigsten? Nicht viel anders ist das auch in der Kirche beim Gottesdienst. Gewöhnlich steuern wir da auch gewohnheitsmäßig eine bestimmte Bank an. Es gibt ja viele Möglichkeiten der Auswahl: Im Mittelschiff mit gutem Blick auf den Altarraum, an den Seiten in Nähe oder mit Blick auf die Kanzel, auf der Empore bei der Orgel. Alles steht zur freien Wahl bereit, nur wenige Plätze sind einem engeren Kreis von Personen vorbehalten und diese befinden sich ohnehin nur im Chorraum. Kriterien wie Lichtverhältnisse zum Lesen, Nähe zu Lautsprechern oder das bewusste Sich-Fernhalten von Plätzen in Reichweite zugiger Türen können eine Rolle spielen, und dann so in vorderster Reihe, da fühlt sich auch nicht jeder gleich wohl.

In den Kirchen des Mittelalters gab es Sitzplätze nur für die Geistlichkeit, den Adel, die Rats- und Gerichtsmitglieder sowie die Kirchenpfleger. Alle anderen Besucher mussten zumeist mit Holzböcken oder Klappstühlen vorliebnehmen oder stehend der Messe beiwohnen. Einheitlich gegliedertes Bankgestühl, das ja auch eine gestalterische Ordnung in den Kirchenraum einbringt, ist im Wesentlichen eine Folge der Reformation. Die Gemeinde ist nun mündig und beteiligt sich mit Gebet und Gesang am gottesdienstlichen Geschehen. Zudem ließ sich eine lange, manchmal allzu lange Predigt im Sitzen entspannter und aufmerksamer verfolgen. Martin Luthers Wunsch war es, dass Altar, Kanzel und Taufstein im Blickfeld der versammelten Gemeinde stehen sollten. In der Tat stand auch in der Beerbacher Kirche einst die Orgel auf einer kleinen Empore hinter dem Altar.

Schnell kam man auf die Idee, das fest montierte Gestühl Sitz für Sitz durchzunummerien und – ähnlich wie heute im Theater oder im Konzertsaal – an Besucher jährlich gegen Gebühr zu vermieten. Das war eine wichtige Einnahmequelle der Kirchenstiftung, die zur Deckung der Unterhaltskosten des Gebäudes beitrug. An der Brüstung der Beerbacher Sü­dempore kann man solche Nummern noch heute erkennen.

Die Frauen allerdings waren von Stuhlgebühren befreit, sie saßen im Mittelschiff links und rechts des früher vorhandenen Mittelgangs, während die Männer in den Seitenschiffen und auf der Empore ihre Mietplätze einnahmen. Besucher ohne Berechtigung mussten den Anfang des Gottesdienstes stehend abwarten. Sollte der Stuhlinhaber ausbleiben, konnten sie sich dann doch noch setzen. Diese Praxis wurde in unserer Gemeinde erst 1933 aufgegeben, seitdem besteht unentgeltliche Platzwahl.

Ein Blick in die erhaltenen Kirchenstuhlbücher und -listen bestätigt die langanhaltende Sitte, dass Gemeindeglieder aus Groß- und Kleingeschaidt, Schöllenbach, Steinbach und Brand ihre Plätze vorwiegend im nördlichen Seitenschiff, auf der „Gschaidter Seite“ und angrenzend in den Bänken links vom Mittelgang hatten. Sie betraten die Kirche durch das nördliche Portal, die sogenannte „Brander Tür“, während die Kirchgänger aus Neunhof, Beerbach, Tauchersreuth, Simmelberg, Gaisreuth, Bullach und Simonshofen ihre Plätze im südlichen Seitenschiff und den anschließenden Bänken rechts vom Mittelgang einnahmen. Sie kamen durch die „Neunhofer Tür“ herein und belegten das Gestühl auf der „Neunhöfer Seite“.

Mit diesen Begriffen können heute nur noch ältere Gemeindeglieder etwas anfangen. Die Umgestaltung der Kirche 1959 führte die Gemeinde in den neuen Bänken im Mittelschiff zusammen. Die Beseitigung der nördlichen Seitenempore führte allerdings zu Unmutsäußerungen bei den „Gschaadern“, die sich um viele ihrer althergebrachten Stammplätze gebracht sahen.

Solche Zwistigkeiten sind heute längst Vergangenheit, Plätze sind ausreichend vorhanden und können von jedermann frei ausgewählt werden. Entscheidend ist, dass wir nicht nur zuhause unseren Lieblingsplatz haben, sondern uns auch in der Kirche, im Gottesdienst heimisch fühlen. Viele Plätze bleiben leider jeden Sonntag leer und warten auf hörende, betende und singende Menschen im „Schiff, das sich Gemeinde nennt“. Bitte nehmen Sie Platz. Herzliche Einladung!

Ewald Glückert, Archivpfleger