Der rote Mantel

Frühling und Frühsommer sind auch in unserer Gemeinde beliebte Jahreszeiten für Hochzeitstermine. Vor dem Standesbeamten wird die Ehe geschlossen und erhält damit Rechtsgültigkeit. Eine kirchliche Trauung kann erst danach erfolgen. In einem besonderen Gottesdienst hören die Brautleute Gottes Wort zu ihrem Bund, sie erbitten mit der versammelten Gemeinde seine Begleitung für ihr gemeinsames Leben, und sein Segen wird ihnen zugesprochen. Zumeist findet die kirchliche Hochzeit in festlichem Rahmen an einem Samstag statt. So sind wir es gewohnt und kaum jemand würde vermuten, dass das vor hundert und hundertfünfzig Jahren noch ganz anders war.

Betrachtet man ältere Hochzeitsbilder, die sich in manchen Familien erhalten haben, so treten uns da Paare in etwas steifer, ernster Haltung entgegen, der Bräutigam mit einem Sträußchen am dunklen Jackett, die Braut mit einem Kranz im Haar, einem schlichten Strauß - oftmals aus Papier – in der Hand, und ebenfalls in einem dunkelbraunen oder schwarzen Kleid. Diese für uns heute ungewohnten Hochzeitsporträts sind zum einen den früheren technischen Möglichkeiten der Fotografie geschuldet. Die Aufnahme wurde in den Geschäftsräumen eines Fotografen erstellt und die lange Belichtungszeit erforderte ein ebenso langes, „starres“ Stehen. Zum andern galt dunkle Kleidung dem Anlass entsprechend als besonders festlich.

Als übliche kirchliche Hochzeitstage galten in unserer Gemeinde noch in der ersten Hälfte des 20. Jh. Dienstag und Donnerstag. „Kleine Leute“, die sich keine großen Ausgaben leisten konnten, heirateten am Sonntag um die Mittagszeit. An diesem Tag waren Pfarrer, Kantor und Mesner ohnehin im Dienst und für das gewohnte Mittagsläuten musste nicht gesondert gezahlt werden! Blumenschmuck, auf den heute Hochzeitsgesellschaften großen Wert legen, war gänzlich unbekannt, nicht einmal am Altar waren Blumen zu sehen und wenn doch einmal, dann waren sie aus Papier. Beliebte Hochzeitsmonate waren noch nicht so ausgeprägt wie heute, aber Advents- und Passionszeit waren als „geschlossene“ Kirchenjahreszeiten für Trauungen undenkbar.

Titelseite der Trauung aus dem Agenden-Kern
für die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern, Nürnberg, 1856

Trauungen verlangen heute eine längere Vorplanung, früher genügte eine Anmeldung wenige Wochen zuvor. Der Geistliche bereitete auch selten dazu eine Ansprache vor, er hielt sich zumeist an die vorformulierten Texte, die im Gottesdienstbuch, der sog. „Agende“ abgedruckt waren. Immerhin „ist dem Geistlichen gestattet, eine freie Rede zu halten“. So hat Pfarrer Max Heller (in Beerbach 1909-1922) immerhin damit begonnen, bei der Übergabe der Traubibel nach der Segnung des Paares einige persönliche Worte an die frischvermählten Eheleute zu richten.

In Zeiten, in denen Autos noch kaum verbreitet oder gänzlich unbekannt waren, begab sich die Hochzeitsgesellschaft zu Fuß zur Kirche, manchmal bei großen Bauernhochzeiten von Musikanten begleitet. Bei Trauungen aus Beerbach und Neunhof holte der Geistliche in Begleitung des Hochzeitsladers und „zweier ehrbarer Hochzeitsgäste“ die Brautleute vom Wohnhaus ab, „auswärtige“ Hochzeitspaare aus Geschaidt, Simmelberg und Tauchersreuth empfing er an der „Säule“ (ein längst verschwundenes Flurdenkmal an der Ortsstraße bei der Einfahrt in den Pfarrhof). Hochzeitsgesellschaften aus Neunhof, Simonshofen und Bullach trat er an der Neunhofer Treppe des Kirchhofs entgegen. In Neunhof begann der Zug zur Kirche für Bullacher vor dem Gasthaus oder für Simonshöfer auf dem „Markt“ (dem heutigen Welserplatz). Nur bei diesen Anlässen trug der Pfarrer einen roten „Copuliermantel“ (Copulation=Verheiratung). Damit wurde die besondere Funktion betont, die dem Geistlichen bei Trauungen zukam: Bis 1876 wurde nämlich die Ehe ausschließlich vor dem Pfarrer geschlossen und das dazu im Pfarramt geführte Register hatte öffentlich rechtlichen Charakter. Zum 1. Januar 1876 trat dann das „Reichsgesetz über Civileheschließung“ vom 6.2.1875 in Kraft und seitdem geht der kirchlichen Trauung zwingend die standesamtliche Eheschließung voraus.

Die letzte Trauung althergebrachter Art erfolgte am Sonntag, 26. Dezember 1875, in Beerbach für den Dienstknecht Johann Georg Maulwurf aus Tauchersreuth und Margarethe Neubauer aus Kleingeschaidt. Die erste kirchliche Hochzeit nach neuer gesetzlicher Vorschrift fand am Dienstag, 15. Februar 1876, in Beerbach für Johann Georg Fahner aus Großgeschaidt und Elisabeth Ziegler aus Tauchersreuth statt. Ihr war die standesamtliche Eheschließung, vollzogen durch den Bürgermeister von Großgeschaidt am Sonntag, 13. Februar 1876, vorausgegangen.


Pfarrer Michael Reißinger hatte in seiner Abkündigung beim Neujahrsgottesdienst auf die neue Rechtsordnung hingewiesen und seine Ausführungen mit den Worten beschlossen:
„Möge Gott der Herr, der die Ehe selbst gestiftet hat, die Herzen aller Brautpaare, die in dieser Gemeinde die Ehe schließen, also lenken, daß keines den Ehestand anfange und führe, ohne vor dem Altar des Herrn getraut und zusammengesprochen worden zu sein im Namen des dreieinigen Gottes“.

Ewald Glückert, Archivpfleger