Die „Calvinische Religion“ in Neunhof

Zum Reformationsfest:

„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“
Diese Frage steht am Beginn des Katechismus. Wer mit Luthers Kleinem Katechismus vertraut ist, wird jetzt stutzen: Am Anfang steht da doch das erste Hauptstück, das sich mit den Zehn Geboten beschäftigt, und Luther gebraucht immer wieder die gleiche Frage: „Was ist das?“. Nun, das Eingangszitat stammt nicht von Luther, sondern aus dem Heidelberger Katechismus, dem Lehrbuch für Gemeinde und Schule der Evangelisch-reformierten Kirche, bestehend aus 129 Fragen und den entsprechenden Antworten.

Wie es der Name schon sagt, auch diese eigenständige Kirche ist aus der Reformationsbewegung des 16. Jahrhunderts hervorgegangen Zu ihrer Entstehung trug das Wirken der Schweizer Ulrich Zwingli und Johannes Calvin wesentlich bei. Die Verständigung mit Martin Luther kam nicht zustande, sie scheiterte vor allem an der Bedeutung des Abendmahls, das nach reformierter Auffassung ausschließlich als Erinnerungsmahl begangen wird. Wer eine reformierte Kirche betritt, dem fällt die Schlichtheit des Innenraums auf, der ohne bildliche Darstellungen auskommt und ganz auf die Kanzel hin orientiert ist. Schlicht ist auch die Liturgie, die von Psalmengesang und Verkündigung des Wortes Gottes, gleichgewichtig aus dem Alten und Neuen Testament, geprägt wird.

Reformierte Kirchen sind auf der ganzen Welt verbreitet, in Deutschland bestehen 143 Gemeinden vor allem in Norddeutschland. Aber auch innerhalb Bayerns leben reformierte Christen in 10 Gemeinden, davon in unserer Nähe in Erlangen, Nürnberg und Schwabach. Gerade die Nürnberger Reformierten haben einen besonderen Bezug zu unserer Gemeinde, obwohl uns das kaum bewusst ist. Vor einigen Jahren unternahmen sie einen Busausflug hierher. Sie besuchten die Kirchen in Beerbach und Neunhof, doch besonders wichtig war ihnen der Gartensaal im Erdgeschoss des Neunhofer Hauptschlosses, in dem sie sich nach der Ortsführung zu einer Andacht zusammenfanden. Damit hat es eine besondere Bewandtnis, denn Neunhof spielt in der Entstehungsgeschichte der Evangelisch-reformierten Gemeinde Nürnberg eine besondere Rolle.

Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts waren reformierte Christen, vor allem aus den Niederlanden und der Schweiz in die Handelsmetropole Nürnberg zugewandert. Es waren vermögende Kaufleute und talentierte Handwerker, denen jedoch die öffentliche Religionsausübung und die Bildung einer eigenständigen Gemeinde in der streng lutherischen Reichsstadt verwehrt blieben. Mehrfach kam es zu Streitigkeiten des Rats mit den Angehörigen dieser „Sekte“. Trotzdem ließen Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden, der Schweiz und Frankreich die Schar der Reformierten anwachsen. Sie versammelten sich zu Andachten in einem Garten außerhalb der Stadtmauern oder sie unternahmen in Treue zu ihrem Bekenntnis eine zeitaufwändige Reise zu Gottesdienst und Abendmahl in erreichbare Kirchengemeinden in dem damals reformierten Territorium der Oberpfalz, zu dem auch Weißenohe, Hagenhausen bei Altdorf und Gnadenberg gehörten. Die Situation verbesserte sich, als der Nürnberger Patrizier Jakob Geuder sein Bürgerrecht aufgab und 1613 als Landrichter, Regierungs- und Konsistorialrat in den Dienst der kurpfälzischen Regierung in Amberg und zum reformierten Bekenntnis übertrat.
Reliefs der Reformatoren Johann Calvin (li.) und Ulrich Zwingli am weltgrößten Lutherdenkmal in Worms.

Er war aber auch Dorf- und Gerichtsherr des Ritterguts Neunhof und ermöglichte nun im Saal seines noch im Bau befindlichen neuen Schlosses die regelmäßige Abhaltung von reformierten Gottesdiensten durch den Pfarrer aus Weißenohe. Viermal im Jahr wurde hier auch das Abendmahl nach reformierter Ordnung begangen, und bis zu hundert Gläubige aus Nürnberg fanden sich dazu ein.

Nun war aber Geuder auch Mitinhaber der Kirchenherrschaft über die Pfarrei Beerbach und versuchte, die gesamte Gemeinde dem reformierten Bekenntnis zuzuführen, was jedoch die andere Herrschaftsseite, die Familie Koler von Neunhof, erfolgreich zu verhindern wusste. Damit war leider manche unschöne Auseinandersetzung verbunden. Nach Jakob Geuders Tod 1616 setzten seine Witwe Sabina geb. Welser und der Sohn Johann Philipp Geuder die Praxis der reformierten Privatgottesdienste in Heroldsberg und Neunhof fort und nahmen einen „calvinischen Pfaff mit Weib und Kind“ im Neunhofer Schloss auf. Die Gottesdienste erhielten mehr und mehr Zulauf, denn in der bis dahin reformierten Oberpfalz setzte ab 1628 die katholische Gegenreformation ein.
Ein Kontakt zwischen der lutherischen Gemeinde Beerbach und den Reformierten scheint nicht bestanden zu haben und doch brach sich die verbindende christliche Nächstenliebe Bahn. Als Neunhof 1653 von zwei schweren Ortsbränden heimgesucht wurde, stellten die reformierten Gläubigen eine eigene Kollekte für die brandgeschädigten Lutheraner zur Verfügung.

Bereits 1650 konnte endlich in Nürnberg ein eigener Geistlicher angestellt und eine reformierte Gemeinde gegründet werden. Es sollte noch bis zum Jahr 1973 dauern, als sich endlich lutherische, reformierte, unierte und vorreformatorische Kirchen (Waldenser und Böhmische Brüdergemeinde) in Leuenberg bei Basel zu einer ökumenischen Kirchengemeinschaft zusammenfanden. In dieser „Leuenberger Konkordie“ (im Gesangbuch unter Nr. 908) heißt es: „Dankbar dafür, dass sie näher zueinander geführt worden sind, bekennen sie zugleich, dass das Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche auch mit Schuld und Leid verbunden war und ist“.

Ewald Glückert, Archivpfleger