Gedanken zum 2. Advent

Jakobus 5,7-11
2. Advent 2020

Liebe Gemeinde!
Bei meinen Telefonaten und Gesprächen in der letzten Zeit hatte ich den Eindruck: Die Nerven liegen bei manchen allmählich blank!
Manche halten es bald nicht mehr aus:
diese ständigen Corona-Nachrichten mit Inzidenz-werten und Sterbestatistiken.
Dieses ständige Sich-Einschränken, Kontakte-Vermeiden und Vorsichtig sein.
Sie sehnen sich danach, endlich mal wieder unbeschwert im Laden zu ratschen, den Enkel zu umarmen, Freund zu treffen und zu feiern.
Sie sagen: Irgendwann muss doch auch einmal Schluss sein mit dem ganzen Theater. Irgendwann ist die Geduld doch auch zu Ende.
Manche werden aggressiv, sagen sich und anderen: Ach, lass es doch sein. Ich will leben. Und so dramatisch ist die Lage auch wieder nicht.
Andere verzagen; ziehen sich zurück; leiden unter der Isolation und machen sich Sorgen, was noch alles kommt, und wie lange wes wohl dauern wird.
Sie merken schon: Die beiden Aufforderungen unseres Predigttextes „Seid geduldig!“ und „Stärkt die Herzen!“ ist unser Thema geworden.
Aber wie geht das? Wie übt man sich in Geduld? Und wie macht man sein Herz fest für Krisenzeiten?

Für Christen ist das ein ernsthaftes und bekanntes Problem. Denn wir feiern ja schon seit nunmehr fast 2000 Jahren Advend. Und jedes Jahr hören wir wieder: Der Herr kommt und errichtet seine heilvolle Herrschaft! Der Herr ist vor der Tür. Bereitet euch vor auf sein Kommen!
Solange wir zurückdenken können hören wir das im Avend. Nur: er kommt nicht. Er bleibt anscheinend vor der Tür.
Und so hören wir zwar die Adventsbotschaft – aber wir nehmen sie halt als Tradition hin, ohne ihr größere Bedeutung beizumessen, ohne ihr wirklich Glauben zu schenken.
Ja, auch als glaubender Mensch kann man sich das Herz lahm warten.
Habt Geduld und haltet aus, bis er kommt. -  Das kann wie ein Schlag ins Gesicht sein für die, die es nicht mehr aushalten können. Die trotzig und wütend danach fragen, wann endlich das Versprechen eingelöst wird, für das sie leben.
Jakobus scheint das zu wissen. Immerhin nimmt er diese bohrenden Fragen ernst und diesen gefräßigen Zweifel, der manchmal auch noch den letzten Krümel Mut verputzt und das letzte Bisschen Zuversicht raubt.
Jakobus beschwichtigt nicht und rügt niemanden. Er weiß, dass es ein Problem ist: wenn ich für etwas kämpfe und keinen Fortschritt sehe, wenn ich so viel investiere und kein Ziel erreiche.
Er weiß, dass es sich auch mit der Glaubenszuversicht so verhalten kann. Dass einem das zähe Warten ganz schön zusetzen kann und das Miteinander belasten kann..
Manche ziehen sich dann zurück. Hören auf zu handeln, in der Gemeinde mitzumachen. Verlieren den Glauben. Verlieren die Hoffnung
Manche schimpfen und wettern. „Ich kann deine ewigen Vertröstungen nicht mehr hören.“ - und sie beginnen die Sache selber in die Hand zu nehmen.
Wenn der Herr nicht kommt und sein Friedensreich nicht errichtet, dann müssen wir eben selber dafür sorgen, dass es in der Welt besser wird.
Beide Reaktionsmuster erleben wir ja jetzt auch angesichts der Corona-Krise und der fortdauernden Einschränkungen.
Und beide Reaktionsmuster sieht man auch in den Gemeinden, in der Kirche. Die Flucht nach vorne in wilden Aktionismus. Und den resignierten Rückzug.
Und beides ist falsch – sagt jedenfalls Jakobus mit seiner Geschichte von dem Bauern.

Ich kann das Getreide nicht schneller wachsen lassen. Würde ich an den Halmen ziehen, damit sie schneller herauskommen, würde ich sie nur kaputt machen.
Aber ich kann das Feld auch nicht sich selber überlassen. Auch der Bauer, den Jakobus erwähnt, hat gesät, wird seine Saat bewässert und das Feld gedüngt haben.
Gott kommt – sagt Jakobus – so gewiss, wie die Saat wächst und Frucht bringt zu ihrer Zeit.
Sein Reich kommt – aber wir können da nichts erzwingen – wie beim Getreide auch.
Wir sollen aber auch nicht nichts tun. Geduldig sein bedeutet nicht, passiv zu sein und nur zu warten. Das würde ja auch gar nicht zu Jakobus passen, der in seinem Brief schreibt, daß ein Glaube ohne Werke ein toter Glaube ist.
Aber geduldig sein bedeutet eben auch nicht, an den Halmen zu ziehen, damit es schneller geht, und in Aktionismus zu verfallen, damit Gott und sein Reich schneller kommen.
“Seid geduldig bis zum Kommen des Herrn!” – das bedeutet: Lebt zwischen den beiden Extremen des Aktivismus, der den Menschen überfordert, und der Trägheit, bei der der Glaube keine Früchte bringt und sich ins private Leben zurückzieht.
Geduldig sein heißt: das Seine tun, aber in dem Wissen: Es ist der wiederkommenden Herrn selber, der sein Reich errichtet und vollendet.
Geduldig sein heißt, diese Spannung auszuhalten.
Doch kehren wir noch einmal zur Ausgangsfrage zurück: Wie geht das? Wie übt man sich in Geduld? Und wie macht man sein Herz fest für Krisenzeiten?

1) So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern.
Niemand soll und muss und kann das alleine schaffen. Wir sind in eine Gemeinschaft gestellt – als Glaubende, aber auch einfach als Menschen. Wo mir der Mut sinken will, kann mich ein anderer aufbauen. Wo ich keine Kraft mehr habe, nicht mehr an der christlichen Hoffnung festhalten kann, da trägt mich die Gemeinschaft. Das funktioniert – sogar ziemlich zuverlässig.
Und gerade in Krisenzeiten sollen wir das nutzen. Wir haben Brüder und Schwestern. Und wenn wir sie nicht besuchen dürfen, können wir telefonieren, skypen oder vielleicht auch ganz altmodisch wieder einmal einen Brief schreiben. Auch diese Gemeinschaft stärkt uns, macht das Herz fest, wenn es für uns schwer wird.
Jakobus ruft zu solch gegenseitiger Stärkung in unserer Hoffnung und in unserem Glauben auf.

2) Wichtig ist gerade in Krisenzeiten, das Ziel im Auge zu behalten.
„Seid geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe!“
Dieses Kommen des Herrn ist unser großes Ziel. Das Kommen seines Friedensreiches. Das ist der Inhalt unserer christlichen Hoffnung.
Diesem Ziel gehen wir Schritt für Schritt entgegen. Mit diesem Ziel im Blick versuchen wir hier auf Erden als Christen zu leben und zu handeln.

Auch der Bauer sät in der Hoffnung, ja in der Gewissheit, dass es eine Ernte geben wird. Und so ist es bei uns auch.
Geduld heißt: Einen langen Atem haben. Das Ziel nicht aus den Augen lassen, auch wenn es noch so weit entfernt ist.
Heißt: Nachsicht haben, wenn dem anderen der Kragen platzt. Und nach ihm sehen, wenn er seufzt und wettert und klagt.
Geduld haben heißt: Aushalten können und Durchhalten wollen.
Geduld ist keine leichte Übung und kann hart auf die Probe stellen.  
Woher kommt sie, diese Geduld? Diese Kraft in allem Seufzen und Stöhnen?
Sie kommt daher, dass man weiß, worauf und warum man wartet. Daraus erwächst sie. Daraus, dass man das Ziel im Auge behält, wächst sie uns zu. Sie steckt in der Gewissheit, dass es so kommt, - dass er kommt.
Es ist die Gewissheit des Bauern, der weiß, dass er am Ende ernten wird.
Liebe Gemeinde!
Dieses Ziel ins Auge zu bekommen, das ist der Sinn des Advents. Wir feiern Advent um uns zu erinnern und gewiß zu werden: der Herr kommt wieder!
Und das ist übrigens auch bei der Pandemie enorm wichtig: die Einschränkungen auszuhalten im Blick auf das Ziel: nämlich gesund zu bleiben; nämlich die Pandemie in den Griff zu bekommen, damit normales Leben irgendwann wieder möglich ist.
Als Christen feiern wir Advent, um das Ziel wieder in den Blick zu bekommen; um die christliche Hoffnung auf Gott und sein Reich neu einzuüben.
Und wir müssen sie einüben, weil wir sie nach 2000 Jahren des Wartens verloren haben; sie ersetzt haben durch andere, innerweltliche Hoffnungen.
Ich übe die Hoffnung auch dadurch ein, dass ich immer wieder mal eines der schönen Adventslieder singe. Die führen uns oft das Ziel vor Augen. Und sie erinnern mich auch an die große Gemeinschaft der Glaubenden, die seit Generationen diese Lieder singt. Das stärkt mir das Herz. Denn wenn ich es singe, verinnerliche ich die Botschaft:
Seid getrost! Der Herr kommt! Er komnmt ganz unabhängig von deiner Kraft, von deinem Vermögen zu glauben und von dem, was du hier auf Erden schaffst.
Amen.

Ihr Michael Menzinger