„Mach blau …“, sagt eines Morgens Gott. „Tut mir leid, das geht nicht“, antwortest du. „Ich muss den Boden wischen. Die Wäsche waschen. Ich muss die Akten fertig machen, das Mittagessen kochen, die Kinder zum Reiten und zum Fußballspiel bringen, muss noch Margarethe anrufen – und dann heute Mittag muss ich Home Office machen! Ich muss abnehmen, einkaufen, meine Beziehung überdenken, die Geburtstagseinladungen verschicken, arbeiten, schlafen, mich kümmern. Ich muss noch so viel tun!“ Gott erbleicht: „Habe ich dich nicht aus der Sklaverei befreit?“ – „Wie – aus der Sklaverei?“, fragst du. Gott schmunzelt: „Na damals aus Ägypten? Die Israeliten, die unter dem Druck der Arbeit für die Ägypter stöhnten. Ich habe sie rausgeholt aus dieser Sklaverei des dauernden Muss.“
„Ach so, ja“, antwortest du. „Das hast du voll gut gemacht. Aber das waren die Israeliten. Und es war damals. Was hat das mit mir zu tun?“ Gott schüttelt ungläubig den Kopf: „Sehr viel. Die Sklaverei von damals ist dein Muss von heute, mit dem du dich selbst so unter Druck setzt. Ich habe die Israeliten damals in das berühmte Land geführt …“, und nun wird Gott ganz pathetisch, „in dem Milch und Honig fließen …“ – „Hier fließt rein gar nichts, wenn ich nicht selbst dafür sorge!“, antwortest du ganz unpathetisch und eher resigniert. „Was ich nicht tue, tut auch kein anderer!“ Gott lässt nicht locker: „Wer befiehlt dir überhaupt das alles zu tun?“ Uups. Da hat er dich irgendwie am wunden Punkt getroffen. Du beginnst zu stottern: „Äh, niemand, jedenfalls nicht so direkt, wie damals der Pharao in Ägypten!“ Du fühlst dich ein wenig in die Enge getrieben und wirst laut: „Was du dir immer so denkst, Gott. Hast gut reden. Von deiner hohen Warte aus. Aber so ist das Leben halt!“ – „Hör zu“, sagt Gott und baut sich majestätisch vor dir auf: „Ich bin der Allerhöchste. Ich gebe dir frei. Nimm dir eine Hängematte. Pflück Blumen, geh schlafen, trink Erdbeerbrause oder ein Radler, guck in die Wolken. Tu was du willst! Von mir aus nicht immer, aber auf jeden Fall häufiger als jetzt.“ – „Und die Wäsche?“, rufst du … Aber Gott ist schon entschwunden.
Du fängst an, die Socken zu sortieren und grummelst vor dich hin. Als ob das so einfach wäre. Die Dinge tun sich schließlich nicht von selbst. Als ob man bei jeder Sache fragen kann, ob man sie tun will. Aber die Begegnung nagt an dir. Du musst zugeben, dass du das Wörtchen „Muss“ verdächtig oft benutzt. Wieso musst du Margarethe anrufen?
Das willst du doch, oder? Das Mittagessen dagegen willst du nicht jeden Tag kochen. Was würde eigentlich passieren, wenn du es nicht jeden Tag tätest?
„Muss“, denkst du plötzlich, ist ein Wichtigtuer. Wer 1.000 Dinge muss, scheint unentbehrlich zu sein. Muss ist ein Schutzschild. Wer alles erledigen muss, hat keine Zeit zum Nachdenken, zum Gespräch. Keine Zeit für sich. „Muss“ ist eine Universalentschuldigung. Wer seinen Pflichten nachkommen muss, braucht nicht für seine Wünsche zu kämpfen. Dir fällt dein Großvater ein: „Tu, was du willst. Und wolle, was du tust!“, war sein Wahlspruch. Nachdenklich legst du eine Socke zur Seite und lässt dich in einen Sessel fallen. Und wenn du wenigstens versuchsweise ein paar „Muss“ durch ein paar „Will“ ersetzt?
Du versuchst es und es klingt tatsächlich anders. Weniger eng, ein paar Kilos leichter und vor allem: selbstbestimmt. Nicht, dass du auf einmal aus tiefstem Herzen Wäsche zusammenlegen willst. Aber du willst sie nicht rumliegen sehen und deshalb tust du es.
Die nächsten Tage bist du aufmerksamer. Du achtest darauf, was du willst. Und manchmal nimmst du frei. Manchmal. Nicht immer. Weil „Will“ halt doch nicht immer stimmt, „Muss“ aber oft Unsinn ist. Dann findet das Mittagessen auch mal in der Hängematte statt. Dazu gibt es Erdbeerbrause und kühles Radler für alle …
von Ottmar Arnd
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne und erholsame Ferienzeit!
Ihr Pfarrer