St. Johannis vor 330 Jahren

Eine Bildbetrachtung zur Neunhofer Kirchweih

Eigentlich ist es ein ganz unscheinbares Blatt altersgrauen Papiers, das zwischen vielen anderen in einer Zeichnungsmappe im Neunhofer Gutsarchiv liegt. Man stößt nicht sofort darauf, aber die skizzenartige Bleistiftzeichnung stellt eine Ansicht Neunhofs aus der Zeit um 1690 dar. Aus ihr wurde für diese Ausgabe des Kirchenboten ein Ausschnitt gewählt, der uns die Johanniskirche in ihrem baulichen Zustand vor etwa 330 Jahren vor Augen führt. „Altes neu beleuchtet“ ist ja diese Reihe von Texten in unserem Gemeindebrief regelmäßig überschrieben, und anlässlich des Kirchweihfestes nehmen wir das einmal ganz wörtlich und holen diese Zeichnung nach langer Zeit ans Tageslicht.
Vor den im Hintergrund angedeuteten Waldungen des Ochsenkopfs und den mit Obstbäumen bestandenen Feldern und Wiesen der „Reuth“ erhebt sich unverkennbar die Johanniskirche. Wir erkennen sie sofort an ihrem dreigeschossigen, gedrungenen Turm mit Spitzhelm, an der angebauten Sakristei und dem an den Turm anschließenden Langhaus mit Satteldach. Auch die umfassende Friedhofsmauer ist gut erkennbar.

Schwieriger zuzuordnen ist die Baugruppe zu Füßen des Kirchenhügels, deren Aussehen sich seitdem stark verändert hat. Näher zu bestimmen ist eigentlich nur das mächtige Walmdach am linken Bildrand. Es ist eine mit Stroh gedeckte Scheune, die zusammen mit den angrenzenden Gebäuden zum Bauernhof der Familie Six (später Wallinger, heute Bürner) gehörte. Auffällig im Vergleich zu heute ist die freie, vom Ort abgesetzte Anlage der Kirche. Sie folgte einem geradezu lebenswichtigen Baukonzept, denn Kirche und Friedhof bildeten seit dem späten Mittelalter eine Schutz- und Verteidigungseinheit für Notzeiten. Von zu dicht angrenzenden Dachböden hätte der Feind den Kirchhof einsehen und beschießen können, ein baulicher Sicherheitsabstand war also geboten! Die Kirchhofmauer war damals noch höher als heute und umgab die Kirche auf allen Seiten, doch sie hatte längst ihre Verteidigungsfunktion verloren, Wehrgänge und Schießscharten sind nicht mehr zu sehen und auf der Nordseite zum Dorf hin, hatte man eine zusätzliche Öffnung durchgebrochen, um Kirche und Friedhof unmittelbar über einen Treppenaufgang von der Straße her zu erreichen. Ursprünglich hatte es nur den Torzugang im Osten in der Nähe des Turms gegeben (zu denken neben dem heutigen Leichenhaus).
Innerhalb der Friedhofsmauern erkennen wir aber noch zwei weitere Gebäude: Ein kleines Giebeldach spitzt an der Nordostecke (rechts) über die Mauer. Es gehörte zum längst verschwundenen Bahrhäuschen, in dem die Totenbahre und die Gerätschaft des Totengräbers aufbewahrt wurden. An seiner Stelle befinden sich heute Grabstätten. Dahinter erhebt sich wuchtig ein turmartiger Bau, der die Südwestecke des Kirchhofs einnimmt. Eine Außentreppe mit Schrägdach führt in das obere Stockwerk. Die Zeichnung täuscht: Dieses Gebäude ist nicht etwa an die Kirche angebaut, sondern war wenige Meter von ihr abgesetzt, hier steht heute das Stammhaus des „Kirchenschreiners“ Wölfel.
Der trutzige Vorgängerbau diente als Amtshaus der Neunhofer Herrschaft mit dem Gefängnis im Keller, den Räumen der gerichtlichen Untersuchung im Erdgeschoß und der Wohnung des Amts- und Gerichtsknechts im Oberstock. Dass dieser zugleich auch Mesner war, bot sich geradezu an, hatte er doch nur wenige Schritte in die Kirche zurückzulegen, um das tägliche Tagzeitenläuten zu besorgen, die Uhr aufzuziehen und bei Gottesdiensten und Amtshandlungen „dem Herrn Pfarrer aufzuwarten“.
Bei genauer Betrachtung der Zeichnung erkennen wir auch kleine Abweichungen an der Kirche im Vergleich zu heute. Nach der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg hatte man sie 1665 instandgesetzt, also etwa 25 Jahre vor Entstehung der Abbildung.
Der Turm ist noch niedriger, das Kirchenschiff kürzer und es gibt nur ein „Wichhäuschen“, so bezeichnet man den kleinen Dacherker mit dem Zifferblatt der Uhr. Dafür ist der ursprüngliche Haupteingang an der Längsseite des Kirchenschiffes deutlich erkennbar, er wurde erst im Zuge der Kirchenrenovierung 1962 aufgegeben.  
Das Neunhofer Kirchlein hat im Lauf der Zeit so einiges erlebt: Plünderungen und Zerstörungen, Wiederaufbau und Umbau, Notzeiten und dankbare Freudenfeste. In den Tagen, in denen dieser Text verfasst wird, kann man noch nicht sagen, ob und wie ein Kirchweihgottesdienst in diesem so außergewöhnlichen Jahr gefeiert werden kann. So bleibt uns nur die Bitte im 4. Vers des Kirchweihliedes EG 585:

O Herr, noch eines bitten wir: Lass uns auch künftig für und für allhier zusammenkommen!

Ewald Glückert, Archivpfleger