Und Gott?

Es ist winzig klein, trotzdem schafft es das Corona-Virus die Welt in Atem zu halten und selbst entwickelte Gesellschaften in den Ausnahmezustand zu katapultieren. Es ist winzig klein, aber es weckt große Ängste in uns Menschen. Auf einmal erleben wir schmerzlich, dass unser menschliches Wissen, unsere technischen Möglichkeiten, unser Reichtum uns vor solchem Unglück nicht bewahren können. Auf einmal wird uns wieder klar: es gibt Wirklichkeiten, deren wir nicht Herr werden können. Der hochmütige Optimismus des modernen Menschen, alles selber bestimmen und bewältigen zu können, gerät da ins Wanken. Aber nicht nur der. Es stellt sich für Christen ja auch die Frage, was wir dieser Erfahrung des Ausgeliefertseins, der Unbeherrschbarkeit des Lebens entgegenzusetzen haben. Bauen wir auch angesichts der Corona-Krise noch auf Gott?
Können wir auch jetzt noch voll Vertrauen und aus Überzeugung singen: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.“ (EG 369)? Können wir jetzt noch an die Vorsehung Gottes glauben, dass bei allem, was uns widerfährt oder in der Welt passiert, Gott seine Hand nicht nur im Spiel hat, „sondern souverän im Regimente sitzt, daß da so oder so kein anderer Wille geschehen kann als der seinige“? - so der große Theologe Karl Barth. Oder gerät unser Glaube an Gott in solchen Zeiten ins Stottern?
Wenn wir im Vaterunser bitten „und erlöse uns von dem Bösen“, dann tun wir das, weil wir mit der Existenz von solch Bösem rechnen, rechnen müssen. Wir dürfen und sollen bitten: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Aber wir müssen darum auch bitten, weil unser Glaube an den liebenden Vater im Himmel immer wieder auf die Probe gestellt wird. Auch als Christen sind wir dem Bösen in dieser Welt nicht entnommen. Ja mehr noch: die Bibel rechnet damit, dass Böses auch von Gott kommen kann, dass es jedenfalls Platz hat in seinem Walten. In den Klageliedern des Jeremia lesen wir: „Wer darf denn sagen, dass solches geschieht ohne des Herrn Befehl und dass nicht Böses und Gutes kommt aus dem Munde des Allerhöchsten?“ (Klagelieder 3,37-38). Hiob (2,10) geht sogar noch einen Schritt weiter und fragt: „ Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Das ist ein Aspekt des Glaubens, der heute weithin aus dem Blick geraten ist und mit dem viele sich schwer tun. Die allgegenwärtige Rede vom „lieben Gott“ hat unseren Blick verdunkelt für Gott, den Herrn, der uns auch Wege führt, die wir nicht wählen würden. Doch genau davon erzählt uns die Bibel immer wieder – am eindringlichsten als es um den Weg Jesu ans Kreuz geht. Nachfolge Christi bedeutet auch, solche schweren, uns nicht verständlichen Wege zu gehen im Vertrauen darauf, dass Gott unser Heil will, auch wenn wir das gerade nicht erkennen können. Wie Jesus am Kreuz kann es auch uns dabei passieren, dass wir den Eindruck haben, Gott sei abwesend. Dass Gott wirklich souverän im Regimente sitzt, das können wir am Lauf der Welt nicht direkt ablesen. Das können wir nur glauben aufgrund seines Wortes, seiner Zusagen. Das können wir nur aufrichtig bekennen, wenn wir durch sein Wort aufgerichtet sind.
Der christliche Glaube ist nicht möglich ohne ein Anglauben gegen die Schattenseiten der Realität. An Gott glauben, an diesem uns unbegreiflichen Gott festhalten, das beinhaltet immer auch, mit Gott zu ringen; ihm nicht nur mit Liebe und Vertrauen zu begegnen, sondern immer wieder auch mit Furcht uns Zittern; den Blick immer wieder auf Jesu Kreuz und Auferstehung zu richten.
Gerade Kreuz und Auferstehung zeigen uns, dass Gott unsere Geschichte mit all ihren Höhe- und auch Tiefpunkten zu seinem Ziel führt. Vielleicht ist es das, was wir jetzt lernen, dass auch die Tiefpunkte im Vertrauen auf Gottes Walten angenommen werden können und angenommen werden müssen. Statt eines etwas hochmütigen Weltbewältigungsoptimismus bedarf das aber der Demut. Doch solche Demut ist nicht zu verwechselm mit Resignation oder gar Hoffnungslosigkeit. Sie hat eher zu tun mit der Einsicht und dem vertrauensvollen Hinnehmen, dass wir auf den uns manchmal unbegreiflichen Gott angewiesen sind; dass er mit allem fertig werden kann und nicht wir.
Ich weiß nicht, was uns die Corona-Krise noch alles bringen wird. Ich bin besorgt. Aber ich versuche mein Vertrauen auf Gott zu werfen und singe mit dem Lied EG 369:

Denk nicht in deiner Drangsalshitze, /dass du von Gott verlassen seist
und dass ihm der im Schoße sitze, /der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel /und setzet jeglichem sein Ziel.

Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, / verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen, / so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht / auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Ihr Michael Menzinger