Wo bleibt der Geist des Friedens?

„Die Friedenstaube“, das sagen die Konfirmanden, wenn sie das Symbol der Taube sehen. Klar, sie sehen es zur Zeit vor allem bei Friedensdemonstrationen oder in Zeitschriften unterlegt mit der Flagge der Ukraine. Dass die Taube heute weltweit vor allem als Symbol der Friedensbewegung bekannt ist, also zur „Friedenstaube“ geworden ist, das hat mit dem Künstler Pablo Picasso zu tun. Er entwarf 1949 für den Weltfriedenskongress in Paris die Silhouette einer Taube und lithographierte diese anschließend. So wurde die Taube das Symbol der Friedensbewegung.
Doch die Taube als Friedenssymbol hat auch einen biblischen Hintergrund. So spielt die Taube in der Erzählung von der Sintflut eine wichtige Rolle. Die biblische Sintflut-Erzählung beginnt mit einer Art Kriegserklärung Gottes an die Menschen und die Schöpfung. (1. Mose 6,5-7) Als Gott sieht, dass die Bosheit der Menschen groß war und das Trachten ihres Herzens böse, will er sie durch eine Flut vernichten. Nur Noah und seine Familie sollen überleben. Nach 40 Tagen Regen und Flut lässt Noah eine Taube fliegen. Als diese mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zur Arche zurückkehrt, weiß er: Das Leben kann neu beginnen. Die Rückkehr der Taube mit dem Olivenzweig wird daher als Zeichen des Friedensschlusses verstanden. Und so wurden sowohl die Taube wie auch der Olivenzweig zu Friedenssymbolen.
Aber warum ist auf der Unterseite des Schalldeckels über der Kanzel in unserer St. Johanniskirche in Neunhof eine Taube zu sehen? Soll das auch die Friedenstaube sein? Nun, so ganz falsch wäre dieser Gedanke nicht, auch wenn die Taube in der christlichen Tradition das Symbol für den Heiligen Geist ist. Dieser Geist soll den Prediger erfüllen, wenn er Gottes Wort verkündet. Und wie an Pfingsten soll Gottes Geist auch über die Hörer des Wortes kommen. Dass der Heilige Geist als Taube dargestellt wird, hat mit der Geschichte über die Taufe Jesu zu tun. Da heißt es nämlich, dass nach seiner Taufe sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. (Markus 1,10)

Und diese göttliche Kraft hat durchaus auch mit Frieden zu tun. Oft wird Gottes Geist ja als Geist des Friedens tituliert und angerufen. Paulus sieht im Frieden eine Frucht des Geistes (Römer 14, 17-19; Galater 5,22) Wo Gottes Geist wirkt, stellt sich Frieden ein.
In der Pfingstgeschichte (Apostelgeschichte 2) führt das Wirken des Geistes dazu, dass Menschen einander verstehen und sich verständigen. Sie tun sich in der Folge zusammen und es entsteht die erste christliche Gemeinde. In ihr herrscht Friede. Ihre Einmütigkeit und Liebe beeindrucken die Umwelt und ziehen weitere Menschen an. Dieser Friede und diese Ausstrahlung sind Konsequenz davon, dass diese Menschen selber Frieden mit Gott und in Gott gefunden haben.
Wie sehr sehnen wir uns zur Zeit nach solchem Frieden! Und mancher fragt sich angesichts des schrecklichen Krieges in der Ukraine und der Unfähigkeit ihn zu beenden: Wo bleibt der Geist des Friedens? Wirkt er nicht mehr? Feiern wir Pfingsten nur noch als Erinnerung? Welcher Geist ist am Werk, wenn der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche Putins Angriffskrieg und seine Kriegsziele vorbehaltlos unterstützt und als Verteidigung „traditioneller christlicher Werte“ befürwortet?
Wir werden in diesem Jahr wohl besonders Pfingstlieder singen, die um den Heiligen Geist bitten, um diesen Geist des Friedens, der Wahrheit und der Stärke. Wir brauchen ihn. Die Welt braucht ihn. Und wir brauchen das Licht und die Klarheit, die er verbreitet. Denn unsere christliche Ethik steht vor einem Dilemma, das wir nicht auflösen können. Wir können einerseits nicht wollen, dass Menschen schutzlos der Gewalt ausgesetzt sind, ihr Leben verlieren und ihre Lebensgrundlage vernichtet wird. Wir können aber doch auch nicht wollen, dass so viel Geld in Aufrüstung gesteckt wird, dass da eine Spirale in Gang gesetzt wird und die Bereitschaft zu kriegerischen Konflikten steigt und der Krieg sich womöglich ausweitet. Angesichts dessen können wir nur bitten: „Gib in unser Herz und Sinnen / Weisheit, Rat, Verstand und Zucht, dass wir anders nichts beginnen / als nur was dein Wille sucht.“ (EG 134, 2)
Wir brauchen den Geist des Friedens. Die Taube soll fliegen, damit Friede wird. Deswegen singen wir: „Komm, Heilger Geist, mit deiner Kraft, die uns verbindet und Leben schafft!“ (EG 564, 1)

Ihr Pfarrer